Additum 266 - In den Mächten der Anderen
23. 06. 2007
Nongrata scribit Vermiculis. 22:53 MEZ
CC: Benedikt XVI., Dr. Ralph Bergold - Katholisch-Soziales Institut (KSI), Bernhard Docke - Anwalt von Murat Kurnaz, Prof. Dr. Theodor W. Hänsch - Physik-Nobelpreisträger - Papstberater, Prof. Dr. August Heuser - Dommuseum Frankfurt am Main, Prof. Dr. Fotis Kafatos - Molekularbiologe - Biotechnologe - Papstberater, Wolfgang Kaleck - Anwalt für Menschenrechte, Prof. Dr. Jörg Kinzig - Strafrechtler, Prof. Thomas Macho - Kulturwissenschafter, Dr. Maria Meesters - Katholische Rundfunkarbeit am SWR, Prof. Dr. Wolf Singer - Hirnforscher - Papstberater, Dr. Vehlow & Wilmans - Rechtsanwälte, Benedikt Widmaier - Akademie für politische und soziale Bildung der Diözese Mainz, Michael Witti - Anwalt für Menschenrechte, Apostolische Nuntiatur in Berlin, Deutsche Bischofskonferenz (DBK), Katholisch-Soziales Institut (KSI), Kontemplative Schwestern vom Guten Hirten, Päpstliches Komitee für Geschichtswissenschaften, Radio Vatikan, Radio X
Meine lieben Vermiculi,
die Vorstellung, dass ein Mensch in einer Einzelzelle seine Gedanken mit einer Reißzwecke auf Toilettenpapier ritzt, schmerzt, insbesondere auch, weil sich heutzutage in der größten Demokratie der Welt ähnliches wiederholt. Häftlinge in Guantanamo ritzten Gedichte in Styropor-Becher, oder sie schrieben sie mit Zahnpasta. 22 Werke wurden von den Anwälten der Gefangenen gesammelt und ins Englische übersetzt. Im August werden sie in den USA unter dem Titel: "Gedichte aus Guantánamo: Die Häftlinge sprechen" veröffentlicht.
Das Nachdenken über staatlich sanktionierte und perfektionierte Grausamkeit setzt der Seele zu. Womöglich haben nicht wenige Menschen, die von den perversen Methoden im Dritten Reich erfuhren, diese Gefahr instinktiv gefühlt und das Nachdenken über diese Abartigkeiten abwehren oder blockieren müssen. Womöglich waren sie gar nicht von Opportunismus geleitet, wie ich bisher dachte. Womöglich wollten sie nur nichts von einer höllischen, unverständlichen Welt wissen, um nicht zu verzweifeln. Womöglich halten viele Menschen es nicht aus, Mitwisser zu sein, wenn Tabus gebrochen werden. Und so konnte es kommen, dass später viele sagten: "Davon haben wir nichts gewusst."
Das aber würde einen zutiefst düsteren Ausblick in die Zukunft bedeuten, denn: Je schwärzer die Abgründe und unerträglicher die Tabubrüche, umso größer die Handlungsfreiheit für die Täter.
Umso schlimmer ist es, dass Papst Benedikt XVI. zu Guantanamo schweigt. Diesem Denker ist es zweifellos zuzumuten, sich mit der durch eine christliche Regierung angeordneten Folter zu befassen und sein gewichtiges Wort dagegen zu setzen. Aber statt auf seine Weise für die Gerechtigkeit auf Erden einzutreten, lässt er engagierte Rechtsanwälte mit der Erschütterung durch den Umgang mit den Gefolterten und dem Anblick von Folterlagern allein. Gleichzeitig lobpreist er das Märtyrertum der Heiligen, zeigt aber als ein sich mit den Mächtigen der Welt gemein Machender keinerlei Zivilcourage und macht sich durch sein Schweigen zu den entsetzlichen Folterlagern zutiefst mitschuldig.
Es ist ein großes Unglück, dass er nicht merkt, wo die demokratische Welt mit der abnormen Gewalt, die sie über missliebige Menschen ausübt, hin steuert. Wie Umfragen beweisen, vermehren sich die Unterstützer der Folter beängstigend. Ein Guantanamo reiche nicht, er wolle deren zwei, bekundete unter Beifall anlässlich des Wahlkampfs für die Präsidentschaftswahlen in den USA der republikanische Ex-Gouverneur Mitt Romney. Kandidat Mike Huckabee, Ex Gouverneur von Arkansas sieht das Lager als eine Art Ferienparadies. Mit öffentlichen Zustimmungen zu Folterlagern lassen sich also Wählerstimmen gewinnen. Der kalifornische Kongressabgeordnete Duncan Hunter sagt sogar, er würde den Einsatz "taktischer Atomwaffen" erwägen, wenn den Zentrifugen der Ayatollahs nicht anders beizukommen sei.
Doch der Papst sieht keinen Handlungsbedarf. Er streichelt gern zarte Babyköpfe, kümmert sich aber nicht um gefolterte Halbwüchsige. In dem Buch "Ich bin ein Deserteur" (Hoffmann und Campe 2007) berichtet Joshua Key, der als Obergefreiter sieben Monate im Irak war, dass dort regelmäßig ausschließlich Minderjährige unter 16 Jahren oder auch geistig Behinderte verhaftet und in Gefängnisse wie Abu Ghureib verfrachtet wurden. Die Frage stellt sich: Warum geschah dies? Was wurde oder wird noch immer mit den jungen Menschen angestellt? Joshua Key sagt auch: Jeder GI kenne den Spruch: "Nimm einen Kinderspielplatz, füll ihn voll mit Kindern, wirf ein bisschen Napalm drauf und grill dir ein paar Rippchen." Key, der Mann mit Gewissen, flüchtete mit Frau und drei Kindern nach Kanada, wo sein Asylantrag abgelehnt wurde. Wird er an die USA ausgeliefert, droht ihm die Todesstrafe.
Ein weiteres Buch, mit dem Titel "Fear up Harsh" wurde von seinem Verfasser Tony Lagouranis, einem ehemaligen Verhörspezialisten nach einer Angst einjagenden Verhörmethode benannt. Er berichtet über schlimme Foltermethoden, die auch er auf Anordnung "direkt aus dem Pentagon" im Irak anwandte. Zurück aus dem Irak suchte er wegen seiner Schuldgefühle eine Psychologin auf, die ihm sagte, er habe nichts "Böses" getan, sondern nur seinen Job.
Es wurden und werden leider viele dieser "Jobs" getan, bisweilen sogar von Geistlichen. Aber vermutlich wird Papst Benedikt XVI. auch zu dem Folterer Christian von Wernich schweigen. Dem deutschstämmigen katholischen Priester wird die Beteiligung an sieben Morden sowie an Entführungen und Folter in 41 Fällen während der Militärdiktatur in Argentinien vorgeworfen. In zwei Wochen wird sein Prozess beginnen. Von Wernich soll Gefangene in geheimen Folterlagern besucht und versucht haben, ihren Willen zu brechen. Die Angehörigen verschwundener Menschen schüchterte er ein. Der harte Gottesmann arbeitete mit Ramón Camps, dem Hauptverantwortlichen für die Verbrechen der Militärdiktatur, zusammen und rechtfertigte die Folter öffentlich als Methode der Guerilla-Bekämpfung. Er lebte verlogen unter falschem Namen, wurde aber 2002 enttarnt und 2003 in Argentinien inhaftiert.
Ach, ihr lieben Vermiculi, wenigstens die blühenden Linden haben einen himmlischen Duft, während so viel gen Himmel stinkt.
Ceterum censeo, tormentum bellumque et bellum et tormentum esse interdicenda.
Mit herzlichen Grüßen
eure Nongrata
Schreiben wider die Folter ! http://wider-die-folter.blogspot.com
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