Friday, February 16, 2007

Additum CLXXXI - Florenz

16. Februar anno domini MMVII, 23:17 MEZ

Sancta Nongrata an Papst Benedikt XVI.

CC: Dr. Ralph Bergold - Katholisch-Soziales Institut (KSI); Bernhard Docke - Anwalt von Murat Kurnaz; Prof. Dr. Theodor W. Hänsch - Physik-Nobelpreisträger - Papstberater; Prof. Dr. August Heuser - Dommuseum Frankfurt a. Main; Prof. Dr. Fotis Kafatos - Molekularbiologe - Biotechnologe - Papstberater; Wolfgang Kaleck - Menschenrechtsanwalt; Dr. Maria Meesters - Katholische Rundfunkarbeit am SWR; Prof. Dr. Wolf Singer - Hirnforscher - Papstberater; Benedikt Widmaier - Haus am Maiberg - Akademie für politische und soziale Bildung der Diözese Mainz; Apostolische Nuntiatur in Berlin; Deutsche Bischofskonferenz; Katholisch-Soziales Institut (KSI); Kontemplative Schwestern vom Guten Hirten; Päpstliches Komitee für Geschichtswissenschaften; Radio Vatikan; Radio X;


Grüß’ Gott Eure Heiligkeit,

gerade bin ich wieder zurück von einer Flugreise nach Florenz, wo mein Mann seinen Geburtstag feierte. Menschen und Kunstschätze sind dort bei erwachendem Frühling ungestörter zu erleben als zu anderen Jahreszeiten; die Mimosenbäume stehen in satter, weicher Blüte, und auf den Wiesen der Gardini Boboli leuchten blaue und weiße Anemonen.

Ein Geschenk des Himmels war es, nach einem schweißtreibenden, dunklen Aufstieg hoch oben auf der großen Kuppel von Santa Maria del Fiore in vollem Sonnenlicht und kühlender Luft zu stehen und den Blick weit über Florenz und die sanften Hügel bis hin zu den schneebedeckten Bergen schweifen zu lassen, dabei immer noch erfüllt vom "Jüngsten Gericht".
Diese gigantische Kuppelmalerei von Giorgio Vasari und Frederico Zucari kann vom inneren Laufgang am Kuppelsaum ganz aus der Nähe betracht werden. Besonders die Szenen der Hölle hatten mich fasziniert. Dieses finstere Reich soll ja mein Bestimmungsort werden - wegen meiner Nichtzugehörigkeit zum katholischen Glauben, so, wie ich im Alter zwischen acht und zehn Jahren von zwei katholischen Ordenschwestern, Bräuten Christi, belehrt wurde; zudem dürfte in meinem Sündenregister die Selbstverheiligung in 2006 als schlimme Verfehlung und Selbstüberschätzung aufgeführt sein... O Gott - ein geflügelter, beschwanzter, spitzohriger, breitmundiger Höllenfürst mit Hörnern und einem dünnen, langen, enterhakigen Geschlechtsteil wird mich mit seiner großen Dreizackgabel aufspießen, ins Feuer werfen oder sogar fressen. Von einer tierköpfigen Höllengestalt werde ich einen Schlag auf den Kopf mit dem Mazzafrusto, dieser Hiebwaffe mit Eisenstacheln, erhalten - und zu alledem werden die Engel der Apokalypse auf ihren langen Posaunen blasen. Was aber zudem auffällt: die hohe Geistlichkeit befindet sich im Himmel bei Gott. Die Maler durften in ihrem Werk wohl nicht in Frage stellen, dass die hohe Geistlichkeit schon im Voraus über ihren Platz in der Nähe Gottes bestimmt hatte - allerdings im Vorgriff auf dessen Entscheidung. Also malten sie die Selbstüberschätzung.

Für mich gibt es aber auch noch Hoffnung. Meine "Nongrata-Verheiligung" wird vielleicht deshalb nicht in Satans Buch notiert sein, weil die Bräute Christi diese nicht mehr miterlebt haben und sich vermutlich sonst niemand dafür interessiert hat. So werde ich vielleicht allenfalls ohne Laptop fernab des Lichtes und der Herrlichkeit Gottes im Limbus, dieser Hölle der Langeweile, umher irren müssen. Möglicherweise aber kann ich dort einen hoheitsvollen, älteren Florentiner treffen, der letzten Montag bei anbrechender Dunkelheit auf der Via del Proconsolo gemessenen Schrittes auf und ab gegangen war. Ohne Zuhörer, aber mit edler Gestik und in einen langen, schwarzen Umhang gekleidet, hatte er über die "Suada Poetica" und Dante Alighieri doziert. Vermutlich gilt der würdevolle Mensch als verrückt, geht nicht in die Kirche und ist aus weicherem Holz geschnitzt, als es die "vernünftigen" Gläubigen waren, die Savonarola auf der Piazza della Signoria zu Tode brachten, aber dennoch auf ihrem frühzeitig reservierten Platz in unmittelbarer Nähe zu Gott bestehen dürften.

Das Kloster San Marco, in dem der Dominikanermönch Savonarola lebte, war mir wichtig zu besuchen. Doch als mein Mann und ich zum ersten Mal dort ankamen, hatten Besucher keinen Zutritt. In der Hoffnung, doch noch Einlass durch ein offenes Tor zu finden, gingen wir um den Gebäudekomplex und trafen auf der Rückseite vor einer geschlossenen, kleinen Pforte auf einen Mann, in seiner Ausstrahlung dem Glöckner von Notre Dame gleich. Ich fragte nur "Savonarola...?", worauf er bedeutete, Kloster und Kirche seien geschlossen, aber, uns ernst anblickend, meinte, wir möchten wieder zurück zum Kircheneingang gehen, er werde uns von innen öffnen. Sodann verschwand er durch die kleine Pforte.

Nach einer Weile öffnete er strahlend die schwere Kirchentür, führte uns vor ein Bronzebildnis von Savonarola, erzählte mit feurigen Augen über dessen Geist und Bedeutung und zeigte uns auch Thomas von Aquin und andere wichtige Geistesgrößen. Die Begegnung, dieses Erlebnis, war so stark, dass ich wusste: auch ich habe meinen Beitrag zu leisten, damit das Verbrechen an dem der Kirche unliebsamen Bußprediger Savonarola nicht vergessen wird...

Tags darauf waren wir wieder am gleichen Ort, um die Fresken von Fra Angelico und die älteste öffentliche Bibliothek der Renaissance sowie die zwei Klosterzellen, in denen Savonarola lebte, zu sehen. Ein in diesen Räumen ausgestelltes Bild seiner Verbrennung auf der Piazza della Signoria, das ein unbekannter Florentiner gegen Ende des 15. Jahrhunderts malte, zeigt Erschreckendes: Eine lange, etwa zwei Meter hohe Holzrampe befindet sich auf dem großen Platz. An ihrem Ende steht ein etwa vier Meter hohes Kreuz, an dem ein Mensch aufgeknüpft ist, der durch eine Vorrichtung hochgezogen wurde, um danach in ein durch Reiserbündel genährtes Feuer herab gelassen zu werden. Jeweils zwei Henker mit schwarzen Kapuzen führen drei weitere Unglückliche über die Rampe zum Feuer - vorbei an einer geistlichen Gestalt mit Mitra und Beisitzern. Unten auf dem großen Platz stehen Gruppen in angeregtem Gespräch - darunter auch Geistliche; Kinder nehmen erschrocken Reißaus.

Das Mauerwerk des Palazzo Vecchio, dieses Mauerwerk, das Savonarola auf der Piazza Signoria hat brennen gesehen, müsste eigentlich tränen - falls es dergleichen gäbe...

Auch das Mauerwerk des "Palazzo" Guantánamo, dieses Mauerwerk, müßte eigentlich tränen...

Sehen Sie, Eure Heiligkeit, die heutigen Verfehlungen führender Politiker nicht?
Sehen Sie, Eure Heiligkeit, die Parallelität zu Militärtribunalen nicht?

Sicherlich wissen Sie, Eure Heiligkeit, über das schlimme Verbrechen in Florenz bestens Bescheid und betrauern, dass der damalige Papst verfügte, Savonarola zu exkommunizieren, ihn zu hängen und zu verbrennen; betrauern, dass dem der Ketzerei Angeklagten unter Folter ein Geständnis abgepresst wurde, er später erfolglos widerrief; betrauern, dass selbstgerechte Kleriker ihr Verbrechertum im Einklang mit der Lehre Jesu Christi wähnten...

Wenn ich bedenke, dass das große Verbrechen der Kirche nur etwa sieben aneinander gereihte achtzigjährige Menschenleben zurück liegt und ich selbst noch die Generation meiner Großeltern aus dem 19. Jahrhundert kannte, dann liegt dies alles gar nicht so weit zurück. Damit möchte ich sagen: Wenn auch heute die verbrecherische Zeit der katholischen Kirche vorbei ist, so müssen Sie, Eure Heiligkeit, dennoch sehr wachsam sein und leidenschaftlich wider Verrohung und Folter eintreten, da - wie man sieht - die Achtung der Menschenwürde selbst von der Kirche Jesu Christi volatil gehandhabt wird - mit guten Zeiten, aber eben auch mit Perioden schlimmster Verfehlungen.

Ceterum censeo, tormentum bellumque et bellum et tormentum esse interdicenda.

Mit freundlichen Grüßen

Nongrata, aeternaliter non responsa


Nongrata, Litanei wider die Folter http://www.runwalt.de/nongrata.html

Nongrata, Wider die Folter ! Sämtliche Schreiben an Papst Benedikt XVI. http://www.wider-die-folter.blogspot.com

ALLE EURE DINGE LASST IN DER LIEBE GESCHEHEN, 1. KOR. 14, 16
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