Additum LXXVIII - Limbus puerum

7. Oktober anno domini MMVI, 01:03 MEZ
Sancta Nongrata an Papst Benedikt XVI.
Cc: Prof. Dr. Theodor W. Hänsch - Physik-Nobelpreisträger, Papstberater; Prof. Dr. August Heuser - Theologe; Prof. Dr. Fotis Kafatos - Molekularbiologe u. Biotechnologe, Papstberater; Prof. Dr. Wolf Singer - Hirnforscher, Papstberater; Kontemplative Schwestern vom Guten Hirten; Apostolische Nuntiatur in Berlin; Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz; Radio Vatikan


Grüß' Gott Eure Heiligkeit!

Diese Woche tagte in Rom eine internationale Theologenkommission zum Problem der ungetauft verstorbenen und mit der Erbsünde behafteten Kinder. Wie verlautbart wurde, werden Sie die Vorhölle, die Wartestation sämtlicher ungetaufter Kinder, Säuglinge und Föten aller Zeiten, abschaffen, um Millionen versterbender Babies in den Entwicklungsländern zu retten. Da nach islamischer Sicht alle Babies bei ihrem Tod direkt ins Paradies kommen, habe die katholische Kirche, so kann man lesen, aus Konkurrenzgründen gleichziehen wollen.

Nach apostolischer Lehre gibt es die absolute Heilsnotwendigkeit der Taufe - oder zumindest der Wunsch danach, die sogenannte Begierdetaufe - um die Anschauung Gottes zu erlangen. Der ungetaufte Säugling und das ungetaufte Kind ohne Taufwunsch mussten darum nach bisheriger Kirchenlehre von Gottes Anblick ausgeschlossen bleiben und im Limbus der Kinder oder Limbus puerum verschwinden. Diese Vorhölle befindet sich am Rand der Hölle unterhalb des Himmels, kosmografisch betrachtet also im Süden. Die Hölle umfasst den Limbus puerum, den Limbus patrum oder Abrahams Schoß, das Fegefeuer oder Purgatorium, sowie die Hölle des Teufels und der Dämonen. Die Kinder des Limbus puerum gehören nicht zu den Seligen und nicht zu den Verdammten, sie werden nicht durch Züchtigung gepeinigt, aber ausgegrenzt sowie ausgeschlossen vom Erschauen Gottes und also gestraft. So warten sie auf den Jüngsten Tag, um wieder zum Leben erweckt, von der Erbsünde befreit und in den Himmel eingelassen zu werden..

Wegen meines eigenen Vorbeischlitterns an der Vorhölle interessiert mich das Thema natürlich sehr, und es stellen sich mir viele Fragen: Sind Sie, Eure Heiligkeit irgendwie allmächtig, dass Sie den Limbus puerum abschaffen können? - Wird der Limbus puerum nun bald leer sein wie ein Geisterort? - Bis zu welchem Lebensalter kamen ungetaufte Kinder in den Limbus puerum? - Retten Sie alle Generationen rückwirkend? Ansonsten wären Sie ja schreiend ungerecht. Eine negative Besitzstandswahrung für die Vorhölle kann es ja wohl nicht geben. - Warum hat die katholische Kirche über Jahrhunderte die ohne eigenes Verschulden vom Himmel ausgeschlossenen Kinder nicht errettet? - Welche Entschädigung erhalten diejenigen Kinderseelen von der Kirche, die 1800 Jahre schuldlos im Limbus puerum verbracht haben und darum nicht die Herrlichkeit Gottes gesehen haben, weil die Kirche es verabsäumte, sie aus dem Ort der Unterwelt zu retten? - Wie wollen Sie die Pein der vielen Eltern kompensieren, die ihre unschuldigen Kinder durch die Kirche der Vorhölle überantwortet wußten?

Das Thema Taufe weckt in mir Erinnerungen an meine frühe Jugend. Meine evangelische Taufe fand mit fünf Jahren statt. Zweimal zuvor aber wurde ich mit Weihwasser notgetauft - einmal vorm Hühnerstall, das andere Mal vor einer Gartenmauer; beides erinnere ich noch. Der um mein Seelenheil besorgte katholische Nottäufer dachte wahrscheinlich: 'Doppeltes Weihwasser wirkt besser', und heraus kam ja auch meine erstaunliche Heiligkeit... Wäre ich aber zuvor an Nasendiphtherie verstorben - es stand um mich sehr schlecht - wäre meine Seele in die Vorhölle abgedriftet und würde erst jetzt von Ihnen errettet werden - vorausgesetzt, dass es keine negative Besitzstandswahrung im Limbus puerum geben wird.

Auch das Thema Hölle erinnert mich an meine Jugend; und zwar an das Règlement katholischer Ordenschwestern. Unaufgeklärt über meine zwei Nottaufen, reservierten sie für mich, das irrgläubige, evangelische und mit der Sünde der unehelichen Geburt behaftete Kind, nicht etwa einen Platz im milderen Limbus puerum, nein, es war sofort das Fegefeuer. Bald aber schon erwartete mich wegen der Todsünde der Unkeuschheit durch Beteiligung beim Doktorspielen die ewige Verdammnis und Feuerstrafe in der Hölle. Der Gang zum Beichtstuhl zum Zweck des Erlasses der Todsünde war für mich, das evangelische Kind, aber nicht möglich; nur Katholiken konnten durch die Beichte und die Buße des Rosenkranzbetens von Todsünden gereinigt werden und damit ihrem Ableben gelassen entgegensehen. Dagegen sah ich mich gezwungen, sündenbeladen durchs kleine Leben zu gehen und den Tod auf jeden Fall zu vermeiden. Wäre ich damals gestorben, hätte mich umgehend der Teufel geholt. Das ist aber nicht geschehen, da meine Mutter mich an vielen Wochenenden kräftigte und der Macht des Teufels entzog; und so schreibe ich Ihnen, Eure Heiligkeit, heute auch schon zum neunundsiebzigsten Mal ...

Sie müssen bedenken: durch den Empfang der heiligmachenden Gnade der zwei katholischen Nottaufen bin ich katholisch, selbst wenn ich kein amtlich registriertes Mitglied bin. Aus der katholischen Kirche austreten kann ich nicht; eine Steuerpflicht besteht nicht; mit der Exkommunikation kann ich nicht bestraft, mit dem Anathema nicht belegt werden. Das Problem meiner Taufüberlagerungen wäre vielleicht ein interessantes Thema für ein theologisches Seminar; was meinen Sie? Im kommenden Januar jedenfalls werde ich wieder in Rom sein!

Sicherlich waren Sie nie ein möglicher Anwärter für den Limbus puerum. Einer wie Sie wird ja schon getauft, wenn er nur aus dem Mutterleib herausguckt. Es ist aber sehr gut, dass Sie den Limbus für ungetaufte Kinder dichtmachen wollen und damit zeigen, dass dieser nicht gottgegeben war. Die jahrhundertlange Vorstellung, dass kleine ungetaufte Kinder im Aufenthaltsraum des Limbus puerum auf ewig geparkt werden, während sich die von der Erbsünde Befreiten - in der Überzahl Erwachsene, inklusive der geballten Kirchenvertreter - die Anschauung der Herrlichkeit Gottes genehmigen, diese Vorstellung war einfach entsetzlich. Liebevolle und fürsorgliche Menschen zeigen Kindern stets das Schönste, zünden für sie die Kerzen des Lichterbaums an und freuen sich, wenn Kinderaugen leuchten.

Am besten, Sie schließen nun ganz schnell auch das Purgatarium sowie die Hölle des Teufels und der Dämonen; denn beide sind Folterhöllen, und so was kann niemand gutheißen. Aber sollten Sie dies nicht durchsetzen können, dann agieren Sie wenigsten gegen die Höllen im Diesseits; und damit wäre ich wieder angelangt bei dem so sehr ernsten und schmerzhaften Thema, dass ich immer wieder in den Focus Ihrer Aufmerksamkeit stellen will - die irdische Folter.

Ceterum censeo, tormentum bellumque esse interdicenda.

Mit freundlichen Grüßen

Nongrata

• Runwalt: Pippin der Kleine http://www.runwalt.de/pippin.html

• Litanei wider die Folter http://wwww.runwalt.de/nongrata.html

• Wider die Folter ! Emails an Papst Benedikt XVI. http://www.wider-die-folter.blogspot.com

ALLE EURE DINGE LASST IN DER LIEBE GESCHEHEN - 1. KOR. 14, 16
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