Friday, September 05, 2008

Der Grüne Frosch und die roten Slipper


Additum 500 – Der grüne Frosch und die roten Slipper

Freitag, 5. September 2008 [10:37 MEZ]
Sancta Nongrata an Heilige Würmer und Selige Spam

CC: Benedikt XVI., Dr. Ralph Bergold - Katholisch-Soziales Institut, Kardinal Paul Josef Cordes - Präsident des Päpstlichen Rates “Cor Unum”, Bernhard Docke - Anwalt von Murat Kurnaz, Prof. Benjamin B. Ferencz - Völkerrechtler u. ehemaliger US-Ankläger bei den Nürnberger Prozessen, Manfred Gnjidic - Anwalt von Khaled El-Masri, Prof. Theodor W. Hänsch - Physik-Nobelpreisträger u. Papstberater, Prof. August Heuser - Dommuseum Frankfurt am Main, Dr. Karl-Joseph Hummel - Kommission für Zeitgeschichte e.V. (KfZG), Prof. Fotis Kafatos - Molekularbiologe - Biotechnologe u. Papstberater, Wolfgang Kaleck - Anwalt für Menschenrechte, Prof. Jörg Kinzig - Strafrechtler, Prof. Thomas Macho -Kulturwissenschafter, Renato Kardinal Martino - Präsident des Päpstlichen Rates für Justiz und Frieden, Dr. Maria Meesters - Katholische Rundfunkarbeit am SWR, Dr. Vehlow & Wilmans - Rechtsanwälte, Benedikt Widmaier - Akademie für politische und soziale Bildung der Diözese Mainz, Michael Witti - Anwalt für Menschenrechte, Apostolische Nuntiatur in Berlin, Deutsche Bischofskonferenz, Kontemplative Schwestern vom Guten Hirten, Päpstliches Komitee für Geschichtswissenschaften, Radio Vatikan, Radio X


Liebe Vermiculi Sancti, liebe Selige Spam,

im Museion, dem Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen, ist der ans Kreuz genagelte grüne Frosch von Martin Kippenberger zu sehen. In seinen Händen hält das Tier ein Ei und einen Bierhumpen.

Foto:
http://www.20min.ch/news/kreuz_und_quer/story/14569355 !

Die 1990 geschaffene Kreuzesfolter eines Schmerzensfrosches brachte Papst Benedikt XVI. auf. Das Werk habe „die religiösen Gefühle vieler Menschen verletzt, die im Kreuz ein Symbol der Liebe Gottes und unseres Heils sehen, das Anerkennung und religiöse Verehrung verlangt“, schrieb er in einem Brief
an den Präsidenten des Südtiroler Regionalrats Franz Pahl, Mitglied der Südtiroler Volkspartei und Verfasser des Buches „Die islamische Überrumpelung“ (2008). Dieser hatte zeitweilig ein Zelt vor dem Museion aufgeschlagen und gegen die Ausstellung des Werkes das Kreuz des Hungerstreiks auf sich geladen. Das schwächte ihn öffentlichkeitswirksam bis ins Hospital.

Italiens Kultusminister Sandro Bondi, Mitglied der konservativen Regierung Berlusconi, sekundierte dem Papst und bezeichnete die Installation des 1997 verstorbenen Künstlers in einer Erklärung als „unnütze Provokation“, eine „Beleidigung für Christen und Nichtchristen gleichermaßen“. WELT online berichtete,
der Kulturminister habe sich überzeugt gezeigt, „dass das Werk nicht nur die religiösen Gefühle vieler Menschen verletzt“. Es beleidige überdies den „gesunden Menschenverstand“. Öffentliche Institutionen sollten laut Bondi nicht „die Kunst der Entweihung, der unnützen Provokation und des Nonsens feiern“. Ihre Aufgabe sei es vielmehr, die Suche nach Sinn und Schönheit zu fördern.
http://www.welt.de/welt_print/article2367185/Papst-verurteilt-Kunstwerk-von-Martin-Kippenberger-in-Bozen.html

So trägt nun der Papst Verletzungen seiner religiösen Gefühle davon, Italiens Kultusminister Bondi steht wegen seines beleidigten gesunden Menschenverstandes nicht mehr ganz gesund in der Welt, Franz Pahl ist abgemagert – und das alles nur wegen der Ausstellung eines gekreuzigten Frosches von Kippenberger im Bozner Museion.

Dabei sollte doch das Zulassen der freien Meinungs- und Gefühlsäußerung, auch mit Hilfe eines Kunstwerkes, in demokratisch geprägten Gesellschaften eine Selbstverständlichkeit sein. Wenn der geniale Kippenberger nach Alkohol- und Drogenentzug sein Alter Ego als Schmerzensfrosch am Kreuz darstellt, ist niemand gezwungen, das Werk zu besichtigen und sich der Schmerzhaftigkeit verletzter Gefühle auszusetzen – auch der Papst nicht. Zudem ist festzustellen, dass Jesus keineswegs der einzige Mensch war, der den Kreuzestod starb. Diese Folter war nicht nur zu Christi Zeiten eine gängige Art der Hinrichtung, und das Symbol des Kreuzes gehört ganz bestimmt nicht allein den Mitgliedern der katholischen Kirche – ebenso wenig wie der Weihnachtsbaum, den sie zum Christbaum machten.

Aus Kippenbergers Sicht ist die Gesellschaft heuchlerisch, im Innersten korrupt, bewahrt aber nach außen hin eine untadelige Erscheinung. Deprimierend ist, dass Papst Benedikt XVI. zum Kreuz der Gefangenen im Foltergefängnis Guantanamo und zu der von der Bush-Administration ausdrücklich genehmigten Wasserfolter schweigt – sich aber an der Ausstellung des gekreuzigten Frosches von Kippenberger stört. Der Vielbeschäftigte in seinen roten Slippern aus Känguru-Leder machte sich sogar die Mühe, seine Kritik an dem grünen Frosch aus Holz in einem Brief an den Südtiroler Rechtsaußen zu formulieren.

Währenddessen spielen sich in fensterlosen, unheimlichen Foltergebäuden die fürchterlichsten Szenen seelischer, geistiger und körperlicher Verstümmelungen, Schwerstverbrechen, ab. Wie die Welt allzu gut weiß, werden völlig hilflos gemachte Gefangene zugrunde gerichtet. Eine teuflische, zielsichere Zerstörung
ihres Wesens findet statt. Am Verfeinern der Methodik wirkten finstere Psychiater mit. Die im Schattenreich der Folter Schreienden darf niemand sehen und hören. Für die meisten der Gequälten ist der Faden zur Welt abgerissen. Alle ihre normalen Gewohnheiten sind unterbunden. Familienmitglieder dürfen sie nicht sehen, dürfen ihnen nicht schreiben. Zwangsweise vollgepumpt mit Drogen und abgesondert vom Menschengetriebe leben sie von allem und jedem verlassen über Wochen, Monate, Jahre in einer vom Leben aufs Erschreckendste hermetisch abgeriegelten Welt. Ein Erwachen aus den Albträumen ihrer Tage und Nächte gibt es für die in dieser grausamen Wirklichkeit Lebenden nicht. Ausgeliefert den schlimmsten Menschen, durchleben sie die schlimmsten Torturen durch teuflische Praktiken, erleben ständige Bedrohungen ihres bisschen Lebens, so dass sie sich wie ständig rundgeschleudert fühlen. Sie sind Gefangene in einem perversen System, das verrückt macht. An Flucht ist für die der Hoffnungslosigkeit Preisgegebenen nicht zu denken, aus der Finsternis kommen sie allein nicht mehr hinaus. Alle Wege sind versperrt. Ihr Geist wird mit System verstört und ihre Geistesstörung wissenschaftlich beobachtet. Gestürzt in tiefste Verzweiflung und zwangsweise völlig zurückgeworfen auf sich selbst, starren sie auf die Katastrophe ihres sich auflösenden Selbst – bis zur Erschöpfung, bis zum Wahnsinn. Denn die Anstrengung, das Verhängnis und die Zusammenhänge ihres Aufenthaltes in der Hölle zu verstehen, ist vergeblich. Das quälende Dickicht ihrer Fragen ist für sie nicht zu durchdringen, der Grund für ihr unermesslich großes Leid nicht herauszufinden. Als auf das Unbegreifliche ihrer Lage Konzentrierte, an das reine Entsetzen Festgenagelte sind sie jederzeit nahe daran zu ersticken, sind hin und hergeworfen zwischen einem Sterbens- oder Überlebenddrang. Die Schmerzen durch die ihnen zugefügten Torturen sind groß.

….Sie, die Gefangenen, erfahren es nicht – aber zur gleichen Zeit besucht Bush, der Folterpapst, den Christenpapst. Sie beschenken sich gegenseitig, sie huldigen sich gegenseitig, sie lächeln so ungemein selbstzufrieden. Sie blenden für sich die zum Himmel stinkende Folter einfach aus, und die so entsetzlich gute, westliche Welt nimmt es hin….

Aus ihren schrecklichen Angstgedanken und Panikattacken, aus ihren Zusammenbrüchen in ihrer unendlichen Einsamkeit, in die sie geworfen wurden, aus ihrem völligen Alleinsein ohne Hilfe gibt es keinen Ausweg, keine Rettung. Das die Erde ein lebenswerter Ort sei, erwies sich für sie als Trugschluss. Sie sind ohne jede Möglichkeit, ihre Qual selbst zu beenden, werden von Sadisten an der Selbsterlösung gehindert. In der Hölle der Folterspezialisten müssen sie die tagtägliche Gewalt aushalten, werden mit Zwangsfütterung gequält. Auch denjenigen Gefangenen, die mit größter Entschiedenheit den Tod wünschen, ist die Todesflucht aus einer menschensadistischen Welt verwehrt. Kein Auflehnen, kein Aufbäumen hilft ihnen. Die wehrlosen Opfer ihrer kalten Peiniger sind zum Drama des Beiwohnens ihres inneren Einsturzes, ihres Geistesverfalls, ihrer Vernichtung gezwungen. Ihre Verzweiflung können sie nicht abstellen, können sie nicht beherrschen, nicht kontrollieren – sie befinden sich in einem ängstigenden Nebel durch Zwangsmedikation. Ihr allerschwierigstes Leben ist für sie unendlich schwer zu ertragen, bedeutet einen einzigen riesigen Schrecken und die größte Verlorenheit. Sie zerbrechen an der Wahrheit über die Grausamkeit des Menschen und der Erfindung seiner Peinigungsmaschinerie, die sie sich so nie vorstellen konnten. Die Hoffnung auf ein Entfliehen aus der Dependance der Hölle, eingerichtet von sogenannten Christen, haben die meisten aufgegeben. Ihr Gefühlszustand ist der Verheerendste. Ihre letzten Illusionen starben bei Blut und bei Kot in der perversen Mühle der Folter. Sie siechen unter todkrank machenden Verhältnissen im Elend ihrer Gefangenschaft dahin.

…Sie, die Gefangenen, können es nicht wissen – aber zeitgleich doziert der Papst hoch wissenschaftlich über Glaube und Vernunft, jedoch nicht über Schmerz und Folterelend. Und Präsident Bush zelebriert ein großkotziges Dinner für das Fundraising….

Ihr inneres Zittern und Beben, ihr ständiger innerer großer Schrei in ihrer unendlichen und tödlichen Vereinsamung bei ständiger Beobachtung durch kalte Augen hören nicht auf. In ihre Zellen kommen ganz nach Belieben, bei Tag oder bei Nacht, die unerbittlichen, grausamen Herren und Damen Spezialisten mit all ihrer feindlichen, bodenlosen Gemeinheit und Niedertracht. Die Erbarmungslosen setzen ihren Anspruch auf absolute Unterordnung mit Heimtücke, Hinterhältigkeit und größter Rücksichtslosigkeit durch. Sie verbreiten Angst und Schrecken, beschädigen das Leben der von ihnen Missachteten. Den brutalen und gewissenlosen Absonderlichkeiten dieser hochspezialisierten und ausgebildeten Quäler stehen die Gefangenen in entsetzlicher Hilflosigkeit gegenüber. Wenn sie die Anweisungen dieser absoluten Herrscher nicht haargenau befolgen und gleichsam oder tatsächlich am Boden kriechen, wird auch noch der allerletzte kleine Rest ihrer Würde heraus getreten, ohne dass sich die Erniedrigten und Gedemütigten wehren können. In den perversen, geheimen Systemen der Folterlager sind die Gefangenen schlimmsten, absurden Gesetzen unterstellt, einer totalen Kontrolle unterworfen. In ihrer vollkommenen Machtlosigkeit haben sie keine Möglichkeit, den verbrecherischen Gewalt- und Peinigungsakten zu entgehen, die an ihnen, den Verhöhnungsobjekten, mit Hilfe von Folterwissenschaftlern und anderen gewissenlosen Menschen begangen werden.


Und dann ist da der irritierende Papst, der Stellvertreter Christi in roten Slippern aus Känguru-Leder, der ebenso wie alle Welt über die fürchterlichen Foltervorgänge in Guantanamo weiß und dennoch schon seit Jahren dazu schweigt – aber sich die Zeit nimmt, den grünen, gekreuzigten Frosch zu kritisieren, um dessen weitere Ausstellung im Bozner Museion zu verhindern.

Offensichtlich ist ihm die Verurteilung eines einzelnen Künstlers wichtiger, als im Namen Jesu bei der Bush-Administration wider den Morast und die Perversität der Folter anzutreten und den Versuch zu unternehmen, die Gefangenen in Guantanamo und den zahlreichen anderen Foltergefängnissen von ihrem fürchterlichen Kreuz zu befreien. Er, der Höchstbevorzugte, Umschwärmte, versäumt es, ein christstaatlich verfügtes Foltersystem zu kritisieren und für das Heil der krass Benachteiligten, in ihrer Ausweglosigkeit kaum mehr auf einen Strohhalm Hoffenden, zu intervenieren. Als Folter-Mitwisser-Papst aus der sogenannten barmherzigen christlichen Welt nimmt er nicht nur die Qualen der in einen entsetzlichen Abgrund Gefallenen, sondern auch die Verrohung der christlichen Gemeinschaft durch die Ausübung von Folter in abseitigen Folterbezirken hin. Sein Aufschrei wider die Fürchterlichkeit der Folter und seine Mahnungen an die „christlichen“ Folterhöllenbetreiber bleiben unverständlicherweise aus. Auch Todesfälle am unheimlichen Unheilsort Guantanamo nimmt er offensichtlich nicht zur Kenntnis. Die in äußerster Verzweiflung lebenden Gefangenen sind aus seinem Bewusstsein verdrängt, das Wort Folter meidet er, die Anordnung der Folter verurteilt er nicht. Das sind bedrückende, erschütternde Feststellungen. Stattdessen kritisierte er, vermutlich in seinen roten Slippern aus feinem Känguru-Leder am Schreibtisch sitzend, den angenagelten, grünen Frosch – eine Figur aus Brennholz…

Vielleicht kennt der Papst nichts vom Leiden, weil er nie sonderlich viel Leid erfuhr, und es fehlt ihm die Einfühlung. Oder aber, das Betrachten der unverhältnismäßig großen Sammlung grausamer Kriegs- und Morddarstellungen in den vatikanischen Museen hat ihn abgehärtet. Jedenfalls scheint die jahrelange, große Leidensgeschichte der Gefangenen in Guantanamo diesen Papst, der von sich sagt, dass er „leidenschaftlich verliebt in Gott“ sei, nicht zu tangieren. Immer wieder doziert er über die Liebe, unternimmt aber nichts gegen die grauenhafte Fratze der Folter, von der alle christgläubigen Menschen zutiefst abgestoßen sein müssten, weil ihr geliebter Jesus gefoltert wurde. Die Foltermethoden von „Christen“ empören den in roten Slippern aus Känguru-Leder Laufenden nicht – aber Kippenbergers grüner Frosch am Kreuz. Er hält sich damit auf, seine kostbare Lebenszeit damit zu vergeuden, wegen der ihm missliebigen Installation einen Brief zu formulieren, einen Brief, den er wider die hochentwickelte Kunst des Folterns nicht zustande bringen konnte. Dabei handelt es sich bei dem angenagelten Frosch nur um einen grün angemalten Kreatur aus Holz, die nicht lebt und selbst durch Quaken das christliche Wertgebäude nicht ins Wanken bringen könnte. Solches vermögen jedoch die gravierenden Mängel an den beiden tragenden Zwillingssäulen, die sich da nennen Liebe und Barmherzigkeit.

Der Papst gibt seine Richtung vor, zur Folter schweigt er, und wie schon so oft in der Historie der Päpste, ist es – mit Blick auf die Schuld durch Schweigen – die falsche Richtung.

Eigentlich müsste ich als Hommage an den allzu früh verstorbenen Martin Kippenberger einen Wurm formen und ans Kreuz nageln, einen, der grün kackt, was am Fuße des Kreuzes als dünne Ringelwurst aus der Farbtube sichtbar zu machen wäre. Aber leider gäbe es für das Werk wohl keine Museumsausstellung, und der Papst in seinen roten Slippern aus feinem Känguru-Leder erführe nichts davon.

Ceterum censeo, bellum et tormentum esse interdicenda.

Mit herzlichen Grüßen

Nongrata

WIDER DIE FOLTER !


Zu Kippenbergers Frosch:

Religionsstreit – Der gekreuzigte Frosch wird zur neuen Kultstätte
http://www.oe24.at/zeitung/kultur/Der_gekreuzigte_Frosch_wird_zur_neuen_Kultstaette_333883.ece

Trotz Papst-Kritik – Der Frosch bleibt
http://derstandard.at/?url=/?id=1219725204672

Der «Gekreuzigte Frosch» trotzt dem Papst
http://www.welt.de/kultur/article2368352/Trotz-Papst-Kritik-der-Frosch-bleibt.html

Papst-Brief zum gekreuzigten Frosch
http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/kunst/Der-Gekreuzigte-Frosch-trotzt-dem-Papst/story/28752044

Anne Haun: Künstlerprofil Martin Kippenberger - Einer von Euch, unter Euch, mit Euch
http://www.artnet.de/magazin/features/haun/haun03-01-06.asp

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