Monday, January 21, 2008


Additum 350 - Mein Mann war ein Ministrant

Montag, 21. 1. 2008 [21:15 Uhr]
Nongrata scribit Vermiculis sanctis.

CC: Benedikt XVI., Dr. Ralph Bergold - Katholisch-Soziales Institut, Bernhard Docke - Anwalt von Murat Kurnaz, Manfred Gnjidic - Anwalt von Khaled El-Masri, Prof. Dr. Theodor W. Hänsch - Physik-Nobelpreisträger - Papstberater, Prof. Dr. August Heuser - Dommuseum Frankfurt am Main, Prof. Dr. Fotis Kafatos - Molekularbiologe - Biotechnologe - Papstberater, Wolfgang Kaleck - Anwalt für Menschenrechte, Prof. Dr. Jörg Kinzig - Strafrechtler, Prof. Thomas Macho - Kulturwissenschafter, Dr. Maria Meesters - Katholische Rundfunkarbeit am SWR, Prof. Dr. Wolf Singer - Hirnforscher - Papstberater, Dr. Vehlow & Wilmans - Rechtsanwälte, Benedikt Widmaier - Akademie für politische und soziale Bildung der Diözese Mainz, Michael Witti - Anwalt für Menschenrechte, Apostolische Nuntiatur in Berlin, Deutsche Bischofskonferenz, Evangelische Kirche Deutschland, Kommission für Zeitgeschichte in Bonn, Kontemplative Schwestern vom Guten Hirten, Päpstliches Komitee für Geschichtswissenschaften, Radio Vatikan, Radio X



Liebe Würmer,

der kleine Ministrant stotterte, kriegte einen roten Kopf - aber trotz allem, er musste vor seinen Schulkameraden laut das Wort "Busen" sagen - vorlesen aus Homers Geschichten über den listenreichen Odysseus. Busen, solch eine Ungeheuerlichkeit, und ein ordentliches, frommes Leben - das kriegte der kleine Ministrant nicht zusammen. Wer Busen dachte, war reif für die Beichte in einer kleinen münsterländischen Gemeinde...

Aktuell wird berichtet, dass gestern 200 000 Menschen auf dem Petersplatz waren, insbesondere katholische Abordnungen.
Kardinal Ruini hatte zuvor alle Römer dazu aufgerufen, beim Angelusgebet dort hin zu kommen, ihre Solidarität zu bekunden und "totale Nähe" zu Papst Benedikt zu zeigen. Die Teilnahme am Angelusgebet sei ein "Liebeserweis". Sie solle zu einer Manifestation der Freude werden, dass Benedikt XVI. "unser Papst und unser Bischof ist". Auch viele junge Ministranten werden wohl diesem Aufruf gefolgt sein.

Unerhörtes war zuvor geschehen - ein "Eklat", "ein bislang einmaliger Vorgang", eine "Schande", eine "antiklerikale Lynchjustiz", "die Entfachung eines Kulturkampfes":

Papst Benedikt, dieser listenreiche Odysseus der Neuzeit (wie ihn der ausgediente Ministrant schon seit längerem nennt), hatte an Europas größter und Roms ältester Universität "La Sapienza" eine Eröffnungsrede zum 705. akademischen Jahr halten sollen. Doch 67 Professoren, überwiegend aus den naturwissenschaftlichen Fakultäten, formulierten einen Protestbrief an den Rektor mit der Bitte, das "unziemliche Ereignis" eines Papstbesuchs zu annullieren. Zu den Unterzeichnern dieses Schreibens zählen u.a. der erimitierte Physik-Professor Marcello Cini, der Physiker Andrea Frova - er hat über Galileo Galilei ein Buch verfasst - und Luciani Maiani, Präsident des nationalen Forschungsrates.

Stein des Anstoßes war eine Rede Benedikts aus seiner Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation. Nach Auffassung der Protestierenden habe Ratzinger den Ketzerprozess gegen Galileo Galiläi in ein positives Licht gestellt und sich die Position des österreichischen Philosophen Paul Feyerabend zu eigen gemacht, wonach das Vorgehen der Inquisition gegen Galiläi "vernünftig und gerecht" gewesen sei. Der Vatikan bestreitet dies und erklärte, der [listenreiche] Ratzinger habe lediglich ein Zitat Feyerabends wiedergegeben, ohne ihm zuzustimmen. Doch der Beschwichtigungsversuch konnte den Aufruhr nicht stoppen. Ein "Reaktionär" dieses Zuschnitts habe an der Sapienzia nichts verloren, war die Meinung der Studenten. Sie klebten Protestplakate, schrieben auf Spruchbänder "Papa fuori" - "Papst raus". Sie bastelten Ratzinger-Masken samt einer Papst-Mitra mit der Aufschrift "No Vat" und riefen eine "antiklerikale Woche" aus. Ein Film über den von der Inquisition verfolgten Galiläi Galiläo sollte dabei gezeigt werden. Auch Studenten aus anderen Städten Italiens kündigten ihre Anreise an, um den "konservativen und reaktionären" Papst am Reden zu hindern. Sie wollten als Priester und Klosterfrauen verkleidet, gegen ihn demonstrieren und ihm mit einer "klanglichen Besetzung", einem Pfeifkonzert, an der Sapienzia einen unfreundlichen Empfang bereiten. Zudem sollte Rockmusik seine Rede übertönen.

Der Papst sagte daraufhin ab. Seine Rede wollte er per Post übersenden. Z
um Trost schickte eine Frauenvereinigung dem Papst hundert rote Rosen.

Die Studenten dagegen jubelten. „Non habemus Papam“ war auf ihren Transparenten zu lesen.

Die Protestierenden wurden tituliert als "Fundamentalisten", "Papst-Hasser", "Extremisten", "Kirchenfeinde", "extremste Fraktionen der organisierten Studentenschaft" und "ungläubige Linke". Sie hätten eine "Beschneidung des Rechts auf Wortfreiheit des Herrn Professor Ratzinger / Benedikt XVI. vorgenommen" und sich dem durch ihn "geäußerten Anspruch auf Vernunft mit den Mitteln irrationaler Agitation widersetzt". Eine "Karikatur" des Laizismus habe an diesem Tag über den Geist der Universität gesiegt. Es sei "versuchte Zensur", so Radio Vatikan. Und Kommentatoren fragten: Wenn man diesem Papst den Mund verbieten wolle, wie stehe man dann zu den faschistischen Protesten gegen jüdische Professoren in der dunklen Vergangenheit. Maurizio Gasparri, Parlamentarier der rechten Oppositionspartei Alleanza Nazionale gab gar zu Protokoll: "Die Professoren, die den Appell gegen den Besuch des Papstes unterzeichnet haben, sollten wegen Aufhetzung zur Gewalt angezeigt werden."

Unverständlich eigentlich ist, warum Papst Benedikt nicht in klaren Worten sagt, dass die "Heilige" Inquisition ein großes Verbrechen an Galiläo Galiläi verübte und dass es eine Anmaßung der Kirche war, zu denken, der alleinige Maßstab zu sein für das, was gedacht und publiziert werden durfte. Es kann nicht sein, dass die Kirche meint, sie allein habe die Wahrheit gefressen und dass sie damit alles Neue, das ihr nicht passt, sprichwörtlich platt macht. Seltsam auch ist: Die, die stets nur glauben, fordern naturwissenschaftliche Beweise - so wie von Galiläi. Woher nur nehmen sie dieses merkwürdige Recht?

Die geistlichen Herren der "Heiligen" Inquisition können eigentlich nicht im Namen des in der Bibel beschriebenen Jesus gehandelt haben (soweit dieses Werk beweiskräftig ist), als sie den alten Gelehrten Galiläi tief demütigten, ihn auf die Knie und zur Selbstverleugnung zwangen. Nach Androhung von Folter, Einkerkerung und Feuertod blieb ihm nichts anderes übrig als seiner Arbeit "abzuschwören, sie zu verfluchen und sie zu verabscheuen". Er musste zudem versprechen, andere zu denunzieren, die weiter an seinen früheren Standpunkten festhielten. Hätte Galiläi nicht widerrufen, wäre er einen ebenso qualvollen Tod auf dem Scheiterhaufen gestorben wie vor ihm Giordano Bruno. Aber trotz Widerruf wurde er die "Heilige" Inquisition nicht los. Er stand für den Rest seines Lebens unter Hausarrest und durfte nichts mehr veröffentlichen. Sogar zur Behandlung seines schmerzhaften Leistenbruchs war es ihm nicht erlaubt, das Haus zu verlassen. Er wurde bewacht, und selbst an seinem Sterbebett standen sie - vornehm im Hintergrund - diese Herren der "Heiligen" Inquisition.

Das alles ist Historie. Was mich heute bewegt, ist, ob in hundert Jahren die katholischen Kirche sagen wird, dass es für die Folter durch christlich orientierte Staaten keine Beweise gab - oder aber, dass die Folter unter Aspekten des Glaubens und der Eindämmung anderer Glaubensrichtungen, eine Sache der Vernunft war und man deshalb geschwiegen habe. Wird man die Folter dann nur als Bestandteil einen Glaubenskrieges sehen, der vernünftig war, weil er der Weiterverbreitung des christlichen Glaubens nützte?

Ceterum censeo, bellum et tormentum esse interdicenda.

Mit herzlichen Grüßen

Nongrata


Papst kapituliert vor den Protesten der Studenten
http://www.welt.de/politik/article1556933/Papst_kapituliert_vor_dem_Protest_der_Studenten.html
Papst soll draußen bleiben
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,528662,00.html
Das umstrittene Papst-Zitat von Josepf Ratzinger
http://www.welt.de/politik/article1556958/Das_umstrittene_Papst-Zitat_von_Joseph_Ratzinger.html
An der Uni unerwünscht
http://www.focus.de/politik/ausland/papst/papst-benedikt-xvi-_aid_233573.html
Eklat um Benedikt
http://www.n-tv.de/904868.html

Wider-die-Folter, http://wider-die-folter.blogspot.com

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