Additum 282 - beklopptistisch
11. August 2007, 17:17 MEZ
Motu proprio Vermiculus honoris scribit Nongratae
Liebe Nongrata,
die empirische Regelmäßigkeit deiner Schreiben ruft eine gewohnheitsmäßige Neigung unseres Wurmverstandes hervor, diese Ereignisfolge zu erhalten. Wir werden unsere kooperativen Bemühungen im Rahmen der konversationellen Implikaturen fortzusetzen - in Verfolgung unseres gemeinsamen Zweckes. Unsere Kooperation beinhaltet das Postulat, den eigenen Beitrag so zu gestalten, wie der gemeinsam akzeptierte Zweck unseres schriftlichen Miteinanders es erfordert. Damit lassen sich zu unserer freudigen Überraschung auch speziellere Konversationsformen verbinden, die sogar der Papst verstehen sollte. Wir, die Würmer, halten uns dabei stets an folgende Maximen: 1. Mache deinen Beitrag so informativ wie für den gegebenen Zweck nötig. 2. Versuche deinen Beitrag so zu machen, dass er nur Aussagen enthält, wofür angemessene Begründungen angebracht werden können, so dass auch der Papst sie versteht. 3. Mache nur solche Aussagen, denen Relevanz zukommt (d.h. die in unserer, der Würmer, Hinsicht nötig sind). 4. Meide Wurmlöchriges, und halte die korrekte Reihenfolge ein.
Eingehend auf deinen letzten Absatz in deiner letzten Email wollen wir nun unsere Korrespondenz um die Erläuterung des Beklopptismus bereichern. Intern ist dieser eine teleologische oder teleonomische Entwicklung, welche sich in der Sukkzession kleiner Schrittelemente ausbildet. Das prozesshafte Fortschreiten vom Anfang zum Ende ist aber nicht vorhersagbar, sondern verläuft über oft unerwartete Brüche und Richtungsänderungen (Peripetien). Genau genommen ist Beklopptismus ein Abgrenzungsversuch. Die Frage ist, ob sich Erfahrungs- und Handlungszusammenhänge schon im Leben beklopptisierend strukturieren, oder ob der Beklopptismus nur eine Konstruktion ist, die dem an sich unstrukturierten Leben nachträglich hinzugefügt wird. Unsere Wurmgrundthese ist, dass Mensch und Wurm Wesen sind, die in all ihren Handlungs- und Wahrnehmungsvollzügen in Beklopptismie verstrickt sind. Beide sind deswegen nicht Subjekte ihrer Sinn- oder Unsinnsentwürfe, sondern erhalten ihre Identität erst in und mit der sie umgebenden Beklopptismie, die erst die Möglichkeit schafft, Sinn- oder Unsinnhaftes beklopptistisch zugänglich zu machen. Es lässt sich also sagen, dass die natürliche Erfahrungswelt des Menschen und des Wurmes präbeklopptistisch strukturiert ist. Handlungen z. B. sind nur verständlich durch einen beklopptistischen Zusammenhang. Die bereits vorstrukturierten Handlungen und Erfahrungen erhalten dann, wenn sie berichtet werden, eine besondere Stabilität und Identität. Dieser Transformationsprozess in expliziten Beklopptismus ist der Kern der beklopptistischen Tätigkeit und wird als eine innovative Synthesis des Heterogenen beschrieben. Aus den heterogenen und nur vorstrukturierten Handlungen und Ereignissen wird durch Selektion und Integration im vieldimensionalen Spannungsfeld Beklopptistisches. Dieses explizit Beklopptistische wird dann über Rezeptionsvorgänge wieder zum selbstverständlichen Reservoir unserer lebensweltlichen Orientierungen. Dies alles bildet einen kreisförmigen, aber sich ständig weiterentwickelnden beklopptistischen Kulturprozess.
Die Folterwelt ist zweifelsfrei ein grausiger Albtraum. Die Frage, wo die Grenze zwischen Albtraum und Wirklichkeit verläuft und auf welcher Seite wir uns wann befinden, ist eine beklopptistische. Die Antwort darauf kann aber nur postbeklopptistisch sein, wie beim Nachdenken über folgendes Beispiel schnell zu erkennen ist:
Eine Folter-GmbH & Co.KG verlautbart: "Foltern ist seit längerem der Renner. Fachgerechtes Folterverhalten ist darum zu fördern und zu integrieren. Wir werden kleine Reitanlagen schaffen, in denen Kinder auf 1a-Menschenpferdchen im Kreis reiten, ebenso Schießanlagen mit überflüssigem Menschenmaterial - alles neben großen Hotelkomplexen, in denen nur noch am Boden Kriechende servieren und wo jeder Gast seinen eigenen Gefangenen, gleich welchen Geschlechts, erhält. Dies gehört zum Menschenrecht der Selbstverwirklichung."
Hier haben wir das Dilemma, das der Beklopptismus zweifellos an Grenzen geraten ist, der wissenschaftlich inspirierte Postbeklopptismus aber erst in seinen Anfängen steht. Der ganz allmähliche Übergang zum Postbeklopptismus kann sich nur darin vollziehen, dass Chaos und Ordnung der Menschen- oder Wurmgesellschaft transzendiert werden, indem die Mitglieder dieser Gesellschaften auftretende beklopptistische Konflikte nicht durch Bezug auf vorgegebene Muster oder Normen zu lösen versuchen, sondern jenseits solcher traditionellen Vorgaben im Hinblick auf veränderte Handlungsgewohnheiten eine Übereinstimmung bei der Neuformulierung von Wertvorstellungen zu erzielen versuchen. Dazu braucht es aber erst einmal die systematische Erfassung der Zusammenhänge der Verstrickung von Gesellschaften in die Beklopptismie. Es ist darum zu prüfen, ob ein gesellschaftlicher Zusammenschluss freier Individuen eine Herrschaftsordnung akzeptieren darf, die eine beklopptistische Situation anheizt - und auch, ob beklopptisierende einseitige Verbindlichkeiten bestehen. Zudem ist zu betrachten, in wieweit freie und rationale, nur ihren eigenen Interessen verpflichtete Individuen, die sich in arbeitsteilig organisierter gesellschaftlicher Kooperation befinden, mit der Zeit zwangsläufig in einen beklopptistischen Katarakt gezogen werden.
Am besten, liebe Nongrata, du rettest dich ins Gebirge, in eine Natur, die von selbst gewachsen bzw. entstanden ist und den Grund ihres Daseins in sich selbst trägt - fernab von menschlicherseits geplanten und ins Werk gesetzten Wirklichkeiten, zu deren finstersten Erscheinungen u.a. das Folterlager Guantanamo gehört, dass der 80-jährige Papst Benedikt XVI. überschweigt, obwohl er sein moralisches Handeln auf die göttliche Gesetzgebung zurückführt. Die Erfüllung des göttlichen Gesetzes ist aber nur dann gegeben, wenn sich der Mensch auch in schwierigen Momenten nach diesem Gesetz richtet und sich nicht durch Prinzipien ablenken lässt, die ein materiales Objekt des Begehrungsvermögens voraussetzen. Nur ein von materialen Bestimmungsgründen (z. B. rote Schuhe) unabhängiger Wille ist ein freier Wille. Der durch Begehrlichkeit unfreie Wille führt erst mal ins bekloppistische Fahrwasser (z. B. Herrenmagazin) und von dort aus womöglich weiter in den beklopptistichen Katarakt.
Ceterum censeunt tormentum bellumque esse interdicenda.
Kollegiale Grüße im Namen aller Heiligen Würmer
DrDrDrDrDrDrDrDrDrDrDrDrDrDrWurm
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